„Animal Holocaust“ – Begriff, Wirkung, Verantwortung

Animal holocaust

Inhalt des Beitrags 📄

Kurz vorweg: Veganismus ist eine legitime, oft zutiefst empathische Haltung. Dieser Text kritisiert nicht die Ethik des Veganismus, sondern die Holocaust-Analogie („Animal/Anima Holocaust“) als rhetorisches Mittel – warum sie entsteht, wen sie verletzt und warum sie kampagnen­strategisch meist nach hinten losgeht.

Starke Ethik braucht starke Sprache – aber keine, die das Leid anderer instrumentalisiert.

Woher kommt der Begriff?

Seit den 1990ern greifen einige Tierethik-Autor:innen und Aktivist:innen zu Vergleichen mit der Shoah. Der Historiker Charles Patterson spitzt das in Eternal Treblinka zu; der Philosoph David Sztybel entwirft sogar eine 39-Punkte-Gegenüberstellung von Holocaust-Praktiken und industrieller Tiernutzung. Ziel: moralische Schockschärfe, um Gleichgültigkeit aufzubrechen. 

Prominent wurde der Frame durch PETA’s Ausstellung „Holocaust on Your Plate“ (2003): Fotos aus Vernichtungslagern wurden Bildern aus Schlachthöfen gegenübergestellt – begleitet von heftiger Kritik und Protesten jüdischer Institutionen. 

Recht & Erinnerungskultur: Warum das in Deutschland besonders heikel ist

In Deutschland wurde die Kampagne verboten; Gerichte begründeten dies u. a. mit dem Schutz der Menschenwürde und der Gefahr, Leiden von Shoah-Opfern zu relativieren. Das Verbot hielt bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stand. 

Unabhängig vom Recht verweisen Holocaust-Forscher:innen wie Deborah Lipstadt auf ein generelles Problem von Holocaust-Analogien: Sie instrumentalisieren ein singuläres Menschheitsverbrechen für andere, auch nachvollziehbare Zwecke – und riskieren so Trivialisierung statt Aufklärung

Ethisch-philosophische Bewertung: Darf man das vergleichen?

Argument der Befürworter:innen

  • Vergleiche sollen nicht gleichsetzen, sondern Mechanismen sichtbar machen (Entindividualisierung, Industrialisierung von Tötung, Sprachentwertung, Gruppenhierarchien). So etwa bei Patterson oder Sztybel. 

Kritische Einwände

  • Kategoriefehler: Die Shoah war ein gezieltes Vernichtungsprojekt gegen Menschen als Menschen; Tiere sind in unserer Ethik (noch) anders verortet – der Vergleich verschiebt Kategorien und verletzt Betroffene.
  • Erinnerungspolitik: Wer die Shoah als „Metapher“ benutzt, greift in eine kollektiv geschützte Erinnerungspraxis ein. Das erzeugt Abwehr – selbst bei Menschen, die Tierschutz bejahen. 
  • Pragmatik: Studien und Fallanalysen zum PETA-Case legen nahe: Holocaust-Analogien mobilisieren Gegner stärker als Unentschlossene, polarisieren, schaden Allianzen. 

Kurz: Theoretisch kann man Ähnlichkeitskriterien diskutieren; praktisch sind Holocaust-Analogien in pluralen, traumasensiblen Gesellschaften fast immer kontraproduktiv.

Was die Rhetorik mit Menschen macht

  • Für Überlebende und Nachkommen: Sie erleben die Analogie als Abwertung des beispiellosen familiären Leids; Institutionen wie Yad Vashem haben das unmissverständlich benannt. 
  • Für Unentschlossene: Der „Schock“ blockiert – statt über Haltung zu reden, geht es um den Vergleich.
  • Für Aktivist:innen: Kurzfristige Reichweite wird mit langfristigem Vertrauensverlust bezahlt; juristische Konflikte binden Ressourcen. 

Warum greifen Menschen trotzdem zu dieser Metapher?

Weil sie Ohnmacht fühlen. Wer stundenlanges Tierleid sieht, sucht Worte, die die Wucht transportieren. Die Shoah ist die stärkste moralische Chiffre – doch gerade deshalb taugt sie schlecht als Kampagnenvergleich. Sie verschiebt die Debatte von „Wie reduzieren wir Tierleid?“ zu „Darf man so etwas sagen?“ – eine Themenverfehlung mit Kollateralschäden.

Bessere Wege, starke Ethik ohne Verletzung zu kommunizieren

  1. Konkretion statt Chiffren Erkläre Praxis, Zahlen, Alternativen – ohne Holocaust-Metaphern. Echte Verbesserungen gewinnen selten durch ultimative Vergleiche.
  2. Betroffenen- und Traumasensibilität Keine Bilder, Begriffe oder Symbole aus Vernichtungslagern. Respektiere die Eigenlogik der Shoah-Erinnerung.
  3. Mechanismen benennen, ohne die Shoah aufzurufen Man kann über Entindividualisierung, Euphemismen, Systemlogiken sprechen – mit Beispielen aus dem Tiersektor selbst (Labels, Taktzeiten, Supply-Chains).
  4. Brückenaktivismus Lade Menschen ein, ohne sie zu beschämen: Optionen, Rezeptsicherheit, Politikpfade (Kita-Menüs, Beschaffung), Unternehmenshebel – nicht moralische Maximalvergleiche.
  5. Allianzen statt Empörungsökonomie Kooperation mit Religionsgemeinden, Gedenkstätten, Minderheitenverbänden – auf Augenhöhe, mit klarer Zusage: Keine Holocaust-Analogien.

Fazit

„Animal Holocaust“ will moralische Betäubung durchbrechen – erreicht aber oft das Gegenteil: Er verletzt, spaltet und verengt die Debatte. Wer wirklich Tierleid mindern will, fährt besser mit Präzision, Respekt und Brückenbau. Starke Ethik braucht starke Sprache – aber keine, die das Leid anderer instrumentalisiert.

Quellen (ohne Links)

  • Charles Patterson: Eternal Treblinka: Our Treatment of Animals and the Holocaust (2002).
  • David Sztybel (2006): „Can the Treatment of Animals Be Compared to the Holocaust?“ – Ethics & the Environment.
  • Faunalytics (2015): „Who’s Harming Whom? A PR Ethical Case Study of PETA’s ‘Holocaust on Your Plate’ Campaign.“
  • Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2012): PETA Deutschland v. Germany – Entscheidung bestätigte das deutsche Verbot der Kampagne.
  • Bundesgerichtshof/Deutsche Gerichte (2009): Urteile zum Verstoß gegen die Menschenwürde bei Holocaust-Vergleichen in PETA-Plakaten.
  • Yad Vashem (2003): Stellungnahme gegen den Einsatz von Holocaust-Bildmaterial in Kampagnenzwecken.
  • Deborah Lipstadt / USHMM: Beiträge zur Problematik instrumentalisierter Holocaust-Analogien in Öffentlichkeit und Politik.
  • The Guardian / Newsweek / TIME (2003–2009): zeitgenössische Berichterstattung und Reaktionen jüdischer Organisationen.

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